Selbstfindung ist nichts für schwache Nerven

Irgendwann im Leben kommt voraussichtlich jeder mal an den Punkt, wo es notwendig ist, mal richtig in sich zu gehen und sich zu hinterfragen. Da wir Komfortzonen nur selten gern verlassen, macht so manch einer in Zeiten schwerer Selbstfindungskrisen vielleicht nur halbe Sachen. Es wird ein scheuer Blick gewagt, schnell erkannt, dass es unangenehm werden könnte, noch tiefer zu blicken und rasch wird der Rückzug angetreten, um mittels Kompensation alles wieder hübsch zu überdecken. Veränderung heißt dann ein neues Hobby, ein neuer Job, eine neue Stadt, ein neuer Partner oder einfach nur ein neuer Look. Klappt teilweise nur kurz- bis mittelfristig, denn das, was ausbrechen will, sucht sich seinen Weg. Ob in Form von körperlichen Beschwerden, psychischen Problemen oder Beziehungskonflikten. Sein Leben zu verändern, heißt ja nicht zwangsläufig, dass man sich selbst auch verändert. Rahmenbedingungen werden neu geschaffen, um das Innere zu täuschen.

Unaufhaltsam kratzt das kleine Monster weiter an der Tür und wartet nur darauf, zuzuschlagen.

Je mehr Zeit vergeht, desto stärker wird das Monster, um uns früher oder später aus den Socken zu hauen.  Es lohnt sich ein Blick ins Innere der Seele, die sich in unserer heutigen schnelllebigen Spaß-Gesellschaft Gehör verschaffen möchte. Die Tiefen in uns wollen uns nichts Böses – ganz im Gegenteil. Sie können heilsam sein, und mit der nötigen Fürsorge und gleichbleibenden Aufmerksamkeit können Veränderungen in Gang gesetzt werden, die uns ein völlig neues und aufschlussreiches Bewusstsein für uns selbst schenken. Willenskraft und das reine Wissen über Modifizierungsprozesse in uns selbst reichen da leider oftmals nicht aus - vor dem Blick in den Abgrund ist man nicht gefeit, wenn man es ernst meint, sich zu entdecken und zu verändern. Alte Programme können meist nur langfristig verändert werden, wenn man das Motherboard entdeckt hat.

Die Arbeit an sich selbst ist kein Spaziergang, denn wer möchte sich schon freiwillig ins Haifischbecken der Emotionen stürzen?

Der geneigte Selbstfinder begibt sich auf eine Reise. Meist beginnt er beim Hier und Jetzt,

startet von da aus vielleicht weiter, um kognitiv seine Muster zu hinterfragen. Vielleicht findet er Antworten, vielleicht werden ihm bestimmte Verhaltens- oder Denkmuster bewusst. Ganz Mutige gehen dann noch einen Schritt weiter - schauen tiefer und konfrontieren sich mit alten Verletzungen, um diese nachträglich heilen zu lassen. Hier wird's unangenehm. Frei von Kompensation, Ablenkung, liebgewonnenen Abwehrmechanismen und Vernunft. Es geht ins Gefühl, zurück zu erlebten Erfahrungen und verdrängten Erinnerungen. Und es kann ganz gewaltig tief dabei werden. Das muss man erstmal aushalten. Doch bei dieser, wenn auch erschwerlichen Reise kann man zum Ziel gelangen und für sich völlig Neues erfahren, was einen von Grund auf verändern kann. Souvenirs dieser Reise können Vertrauen, Echtheit, Offenheit oder Unabhängigkeit sein. Bestenfalls fällt man dann nicht mehr in alte Muster zurück, die einem wieder und wieder Steine in den Weg legen. Mit ziemlicher Sicherheit gewinnt man dabei aber Selbstbewusstsein. Und zwar in dem Sinne, sich "selbst bewusst" zu sein - mehr denn je.



„Man kann einem Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.“

Galileo Galilei